„Nicht Untreue zerstört unser Beziehungsleben, sondern falsch verstandene Treue. Das muss sich ändern.“ So leitete die Autorin Michéle Binswanger in der ZEIT ein Manifest(chen) unter der Überschrift „Die große Lüge“ ein und sie steht damit nicht alleine da. Feminismus muss dahin wo es weh tut und das pseudo-religiöse Dogma der ehelichen Monogamie als männliches Behauptungswerkzeug ist für viele keines mehr, dass noch Anspruch hat dem gerecht zu werden, was wir leben und leben wollen. Oder zumindest viele. Oder einige. In einer Stadt lebend, in der Sex und Sehnsucht ständig und allerorten kollidieren, hat man oft das unangenehme Gefühl Zeuge von Unzulänglichkeiten zu werden. Das alles macht bei dem Thema nicht unbedingt Mut. Doch sollte es in erster Linie nicht um andere gehen, sondern um Selbstbestimmung und was man für Folgen daraus zieht. Nur dann kann man auch Vorstellungen entwickeln, die einen durch die Liebe leiten.
Auch der ZEIT-Autorin Michèle Binswanger ist bewusst (und das hat nichts mit 'Eingeständnis' zu tun), dass viele Menschen eine Sehnsucht nach Familie und Heimat in sich tragen, eine Sehnsucht von der viele glauben, dass sie vervollständigt, glücklich macht und der eigenen Existenz mehr Sinn verleiht, vielleicht sogar erst dann überhaupt Sinn verleiht. Ein Metaprogramm, das einsetzt, wenn man daran denkt gemeinsam mit jemandem Kinder zu haben. Wahrscheinlich beginnt da der monogame Gedanke sich als Ideal auszubreiten. Sich dann vorzustellen, man lebe in einer Beziehung, einem familienartigen Verbund, in dem letztendlich egal ist wer der biologische Vater ist, ist schwer vorstellbar. Zumindest geht mir das so. Mit was sich Menschen abfinden können ist eine andere Frage. Auch was Zeit und Anstrengung mit einem machen. Auch wenn mich die Vorstellung wie meine Freundin mit jemand anderen fickt bzw. dabei zu sein oder auch andere Szenarien mich zuweilen geil machen ist die Vorstellung sie führt bei einem Glas Wein mit jemand anderen intellektuelle Gespräche, fängt irgendwann dann an mit demjenigen zu knutschen und geht mit ihm heim, keine die mir gefällt und mit der ich glaube mich (zum jetzigen Zeitpunkt) anfreunden zu können. Das normative Moment geht meiner inneren Haltung ab. Erstmal möchte ich dass wir glücklich sind und uns glücklich machen. Die kleinstmögliche Einheit an Vertrauen. Der Kern gegenseitiger Zuneigung. Falsch verstandener Hedonismus ist da fehl am Platze.
Doch ich habe auch manchmal Lust auf andere Frauen, meistens weniger intellektuell (doch auch aus der intellektuellen Spannung kann Sex entstehen), sondern musisch und sexuell. Ich habe auch manchmal Lust Heroin zu nehmen oder jemanden eine ordentliche Abreibung zu verpassen. Aber ich mache es nicht, weil ich glaube, dass Freiheit sich in jedem Moment neu hinterfragen muss. Ich glaube, will man 'Vorleben' , weil man verändern möchte, muss man sich erst 'Einleben'. Das Gefühl jemanden nicht ausfüllen zu können und deshalb teilen zu müssen, stelle ich mir nicht schön vor. Die Idee sich gegenseitig glücklich zu machen und Glück zu gewähren kann was anderes sein. Es geht um die Fragen 'Was ist Ersatz?' und 'Was ist Ergänzung?' und was man davon für sich akzeptieren kann.
Ich glaube um aus dem 'Korsett' der Monogamie entfliehen zu können, muss man Monogamie verstanden haben. Nur dann kann man Muster überwinden, die einen daran hindern sich frei und ausgefüllt zu fühlen. Und dann ist das Befreien der Sexualität aus der Ehe für alle Paare, die den Auftrag zu verändern, den Feminismus und den eigenen Erlebnishorizont ernst nehmen, oberste Bürger-, Hipster- und FeministInnenpflicht. Über das gemeinsame 'Stopfen' von Wissens- und Erfahrungslöchern kann man vielleicht gemeinsam an Punkte kommen, die es erlauben Dinge andenken zu können. Das Fleisch ist bekanntlich willig. Manchmal langt es ehrlich zu sein.
Letztendlich besteht trotzdem stets ein Ungewicht zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Man wäre gerne viel lockerer als man ist. Speziell in Berlin. Hier blühen die Neurosen in jedem Grünstreifen. Trotzdem, man möchte zeigen, dass man sich nicht mit dem zufrieden gibt, was Gesellschaft einem als Lösung vorschlägt. Man hat das Gefühl, es wird dem eigenen Lifestyle, den man im Begriff ist zu finden, nicht gerecht. Doch ich glaube um einen Wertewandel anzustoßen, darf man nicht die Hoheit über das eigene Handeln aus der Hand geben. Man muss den leider oftmals qualvollen Weg der Selbstfindung gehen. Die Moodmap ausbreiten, die Hashtags in den Rucksack packen und los gehts! Protest richtet sich auch immer gegen das eigene Glück, weil visionäres Bewusstsein auch den gesellschaftlichen Realitäten und der eigenen Zufriedenheit gerecht werden muss und die entspricht im Regelfall nicht dem Ideal. Nach wie vor glaube ich, dass es speziell in unserer offenen, globalen, kommunikativen und Ich-bezogenen Welt wahnsinnig schwer ist (und immer schwerer wird) Modelle zu finden, die es ermöglichen, dass Menschen sich grundlegende Fragen stellen. Dazu gehört zum Beispiel auch der oben angerissene Komplex, warum man irgendwann zu einem gemeinsamen Kinderwunsch kommt. Und grundlegende Fragen und der Versuch sie zu beantworten enden nun mal in der Phantasiewelt, in der Religion, in Weltanschauung, in Momenten in denen Metaphysik und Glauben mit zivilisatorischer Vernunft kollidieren. Unsere Waffen sind Rationalität und Hedonismus. Und vielleicht eine Form neoromantischer Antifolklore, deren Mäanderungen noch unabsehbar sind. Glaube und daraus resultierende Dogmen, Erlösungs- und Heilversprechen scheinen wahnsinnig schwer zu schlagen. Man munkelt der Papst bereiste jüngst Kuba, weil Fidel sich rückbesinnend auf seine Erziehung und dem Tod ins Antlitz blickend wieder dem Glauben zuwendet. Doch das geht jetzt zu weit.
Am Ende bleibt einem Liebespaar - modern, aufgeschlossen oder im Klischee verhaftet - nur die Chance dem Gefühl, dass man für- und miteinander empfindet, gerecht zu werden. Allein das ist schon Aufgabe genug. Doch zuerst natürlich Welt retten, Ego in Sicherheit bringen und sich so richtig austoben. Hier, in Berlin. Wo wir alle so edgy sind und dem Zeitgeist jeden Tag aufs neue beweisen wollen, wie sehr wie bereit sind, die uns auferlegten Fesseln zu sprengen. Wenn da nur nicht immer wieder diese Momente wären, in denen wir verwundet, verletzt und verlassen, ganz allein dasitzen und uns fragen, was wir denn diesmal wieder falsch gemacht haben. Denn Monogamie hat weniger mit Sex tun, vielmehr mit Verbindlichkeit und Vertrauen. Sex wird überschätzt. Das ist die Chance.