Mittwoch, 22. Januar 2014

Über Schmerzensmänner, Ohrfeigen und Widerstand oder wie ich lernte die Bombe zu lieben.



Als die Wochenzeitung Die Zeit mit dem wohl als Fanal gedachten Titelthema „Not am Mann – Das geschwächte Geschlecht“ (Die Zeit No. 2, 2. Januar 2014, Seite 11 ff.) ins neue Jahr startete und ich gegenüber meiner Frau äußerte, dass ich nicht verstehen würde, warum dieser Sichtweise bzw. diesem Phänomen medial so viel Platz eingeräumt wird - weil es ja doch nicht um die Schwächung eines Geschlechts gehen würde bzw. sollte, sondern vielmehr um die Chance, Geschlecht als Alleinstellungsmerkmal zu überwinden und nicht ein Geschlecht zu schwächen, sondern alle zu stärken - meinte sie, ich solle mich doch dem Thema „Schmerzensmann“ textlich einmal annehmen. Ich muss an der Stelle hinzufügen, dass meine Frau sich als Feministin versteht und dementsprechend Begrifflichkeiten wie „Schmerzensmann“ und „Mansplaining“ nicht nur zum allgemeinen Sprachschatz eines sich wehrenden, angriffslustigen und kommunizierenden Feminismus gehören, sondern auch zum Positionierungsrepertoire des alltäglichen Ehe- und Beziehungswahnsinns. Das Private und das Politische nicht zu trennen, gehört in unserer Ehe zur Notwendigkeit des Seins. Das macht es oftmals nicht leichter, da man selbst nicht unbedingt als Phänomen betrachten werden möchte, sondern als Individuum, dass seinen Fehlbarkeit, seine Not, seine Sehnsüchte und Träume und speziell seinen Schmerz nicht als Teil einer Kultur sieht, die sich gegenüber eines anderen Geschlechts behaupten möchte oder muss, sondern als Teil der eigenen Persönlichkeit, die sich sicherlich zwar auch über die Dazugehörigkeit zu einem Geschlecht definiert, aber eben auch losgelöst und unabhängig davon weiterentwickeln kann, darf und muss. Übrigens eine Grundvoraussetzung, sollen soziale Bewegungen tatsächlich Veränderung bewirken und nicht nur dem eigenen Positionierungsdenken dienen.

Ich liebe meine Frau dafür, dass sie so ist und so denkt, dass sie den eigenen Karriereanspruch und die Sehnsucht nach Familie und einem Zuhause mit dem Ideal einer Bewegung so in Verbindung bringt, dass daraus eine laute Stimme und eine Haltung entstehen, die kommunizierbar ist und Grundlagen des Verhandelns bietet. Dass der Feminismus nicht vor der Haustüre Halt macht und einen (Ehe-)Mann fordert, gehört nun mal dazu. Bewusste Entscheidungen zeichnen doch auch heute noch jene aus, die lernen, verändern und verbessern möchten.

Neulich habe ich festgestellt, dass wenn ich in Situationen komme, in denen eine oder mehrere mir fremde Mädchen oder Frauen zufällig direkt vor mir laufen, ich kurz meine Schrittfrequenz erhöhe um vorbei und vor ihnen laufen zu können. Ich glaube das zu machen, weil ich irgendwann gemerkt hatte, dass ich so zumindest dem Gefühl taxiert, verfolgt oder bedroht zu werden, vorbeugen kann. Ich habe diese Handlungsweise tatsächlich noch nicht weiter und tiefer gehend reflektiert, aber wenn ich ehrlich bin, möchte ich das auch nicht. Ich fühle mich dadurch nicht eingeengt oder beschränkt. Ich mache das, weil ich das Gefühl habe, es sei richtig und weil ich glaube, dass es als Mann wichtig ist, in und mit seinen Handlungen und Haltungen zu zeigen, dass man uneingeschränkt dafür eintritt, dass Geschlechter sich auf Augenhöhe begegnen und nicht gegen, sondern miteinander kämpfen. Ein ungutes Gefühl hat da nichts zu suchen.

Mir fällt es also schwer, mich dem Thema "Schmerzensmann" zu nähern, weil sich mir nicht ganz erschließt, was diesen Schmerz, der zu dieser Begrifflichkeit führt, tatsächlich auslöst (das eigene Scheitern kann es wohl kaum sein) und ich habe mich an anderer Stelle schon oft gefragt, was jene eigentlich verteidigen möchten, die sich lauthals und mit Vehemenz zu diesem Thema und äußern und einen fortwährenden Backlash erzeugen, der darauf schließen lässt, dass es unserer modernen Gesellschaft und speziell vielen Meinungsführen doch schwerer fällt die Metaphysik einer als normal betrachteten Grundordnung in Frage zu stellen, dass es schwer fällt, die starken, aus Vergangenheit und Erwartung geformten Bilder in Frage zu stellen, den Vater, die Mutter, den Staat, das Normativ von Familie, Arbeitsteilung und Geschlechterodierung, die Traditionen und Vorurteile.

Wo bleibt also der investigative Mut und Wille von Autoren, Journalisten und Kunst- und Kulturschaffenden, Themenkomplexe auf die Art und Weise abzubilden und zu erweitern, dass sie für einen gesellschaftlichen Diskurs mehr zu bieten haben als eine in Weltbild und Glaube manifestierte und untermauerte Haltung, die in ihrem Denken und Danken an historisch lange gewachsene und familiär, regional und staatlich sanktionierte Dogmen gekoppelt ist, die für neue Generationen, Umstände und globale Herausforderungen im Jetzt und in der Zukunft schon lange nicht mehr so synchronisierbar sind, dass sie einerseits einer moral-gesellschaftlichen Weiterentwicklung nicht schaden, andererseits ihre ursprüngliche Botschaft in Trostgebung, Sinnstiftung, Vergebung und Welterklärerung weiter als einer der Maßstäbe für eine neue Moral des Miteinander gelten dürfte. Warum rütteln wir nicht alle gemeinsam an den Grundfesten unserer Gesellschaft? Sind wir alle so glücklich, so gesegnet, zufrieden und reich, dass keiner Angst haben muss, dass sich die Welt vielleicht doch mal gegen ihn stellt? Wie kann es sein, dass auf so vielen Ebenen versucht wird, eine Aktion wie die um den Hashtag #Aufschrei, nach nur einem Jahr hämisch und abwertend marginalisieren zu wollen und sowohl Protagonistinnen, als auch die Masse jener Mädchen und Frauen, die diese Chance eine Stimme zu erhalten genutzt haben, als Schreibtischtäter und als frustriert diffamiert werden. Liegt es daran, dass das Internet keine männliche Kontrolle zulässt? Oder warum werden Kirche und Religion nicht hinterfragt? Haben wir uns getäuscht und sind doch nicht bereit für einen Paradigmenwechsel? Oder möchte ihn die Gesellschaft nicht?

Das Dulden der Kirchen im großen Rahmen, das Zugestehen einer derart großen gesellschaftlichen Funktion als Meinungs- bzw. Glaubensführer und die in unserer Gesellschaft und Staatsstruktur tief verankerten, karitativen und seelsorgerischen und scheinbar auf Pragmatik und Nächstenliebe getrimmten Dienstleistungen, legitimieren seit je her auf subtile Weise die Verbreitung kirchlicher Lehren als missionarische Rettung verlorener Seelen und die konkrete Einflussnahme von Kirche und Glauben auf den Alltag, die Selbstbestimmung und die Lebensrealität von Menschen in regionalen Brennpunkten, in denen die westlich-progressive Wertegemeinschaft und der Rest der vielleicht ansatzweise säkularen und freiheitlichen Weltgemeinschaft, als abstrakte Form des Zusammenhalts, keinen Einfluss hat bzw. nur so bedingt, dass man punktuell Folgen und Verstörung auffangen kann, weder aber das Handeln aus Überzeugung, noch die eine Lebensführung bestimmende Prägung. Ähnlich und analog dazu, wie Geldwirtschaft, Industrie und Konsumgesellschaft ihren Reichtum darauf aufbauen, an gewissen Stellen des Systems einfach keinen Reichtum zuzulassen, so ähnlich okkupieren jahrhunderte, zuweilen jahrtausende alte Glaubensdirektiven den Denkraum, den es braucht, damit Menschen sich selbst und sich als Teil einer Gemeinschaft weiterdenken und Kulturen und Visionen sich finden und verwachsen können. Es geht nicht nur um das Biotop der eigenen, kleinstaatlichen Zielgebung und -führung. Es geht um eine Welt, die ihren Allmachts- und Führungsanspruch über das vermeintliche perpetuum mobile der kapitalistischen Innovations- , Konsum- und Glücksmaschine immer weiter und umfassender etabliert und durch eine gut verkaufte (und verkaufende) Erfolgsgeschichte auch scheinbar legitimiert. dabei werden konkurrierende Modelle und Wertesysteme schon lange nicht mehr diskreditiert, sondern einverleibt, aufbereitet und verwertbar gemacht und im Narrativ der Erfolgsgeschichte weitererzählt. 

Es ist daher richtig, dass eine Generation, die sich im wesentlichen über Konsum und Kommunikation definiert, sich nicht nur an der institutionellen Geldvermehrung und ihren Ausgrenzungsmechanismen, sondern auch an der katholischen und anderen Kirchen, an Glaube, Religion und Moral abarbeitet und Selbstverständnis, Zweck, Funktion und gesellschaftlichen Mehrwert in Frage stellt und nach Abwägung dieser gewonnenen Erkenntnis mit der eigenen Haltung bzw. dem eigenen Haltungsanspruch für sich dementsprechende Konsequenzen zieht, egal ob diese in Systemablehnung, Verweigerung, Unterstützung, Protest, Widerstand oder in einem wie auch immer-gearteten und motivierten Aktivismus münden.

Josephine Witt hat genau dies getan, als sie während der Messe am ersten Weihnachtsfeiertag mit dem Slogan „Ich bin Gott“ auf der nackten Brust den Altar im Kölner Dom erklomm und im Namen und im Stile der Widerstandsgruppierung 'Femen' lautstark und aus voller Kehle protestierte. Wahrscheinlich gegen katholische Unfehlbarkeit, gegen das katholische Abtreibungsdogma und gegen die Unterdrückung der Frau innerhalb der Kirche, gegen das Negieren homo- und anderer sexueller Realitäten und auch gegen den damit einhergehenden gesellschaftlichen Wurmfortsatz im kulturell auf religiöser und kirchlicher Glaubensprägung basierenden Wertealltag, der sich aus dem europäischen Narrativ einer christlichen Kulturgeschichte speist, auf Reformation, Aufklärung und Moderne. Ihr und anderen Kritikern christlicher Kirchen, speziell der katholischen, vorzuwerfen, sie würden sich an der 'falschen' Religion abarbeiten, da der theokratische Anspruch des Islams doch eine viel größere Bedrohung für unser Verständnis von Zusammenleben darstellt, ist schlicht dem Umstand geduldet, nicht zu Ende gedacht zu haben. Es fällt halt einfacher eine junge Frau zu diskreditieren.

Betrachtet man das Ausmaß der Reaktionen auf diese, zur Weihnachtszeit bestens platzierte Protestaktion, sei es im Boulevard, in der Presse, an den Stammtischen, in den Sozialen Netzwerken und in der rechtsfrei anmutenden Kommentarkultur des Internets, dann muss man feststellen, dass die Wirkungswelle feministischer Aufruhr einer einzelnen Person den selbstgerechten Damm visionärer Ignoranz ebenso überrollt hat, wie das im vergangenen Jahr bereits für kurz dem Hashtag #Aufschrei gelang (das soll keine was Wirkung und Intensität keine vergleichende Aussage zwischen beiden Aktionen sein). Erstaunlich auch das Dulden und Erklären von struktureller Gewalt, als ein männlicher, älterer Kirchgänger die Chance ergriff, der bereits von mehreren Männern gestellten und im Begriff der Abführung befindlichen Josephine Witt, aus sicherer Distanz, eine selbtjustizielle Ohrfeige zu verpassen. Solidarität unter Männern hat hier wahrlich nichts zu suchen.


Diese Ohrfeige im Kölner Dom scheint wie ein später Reflex einer Generation von Männern, die seit Beate Klarsfeld 1968 den damaligen Bundeskanzler Kiesinger ohrfeigte, darauf warten, es 'denen mal zu zeigen'. Klarsfeld hatte mit dieser Ohrfeige jedoch Gewalt symbolisiert, nicht ausgeübt. Ähnlich verhält sich Widerstand wie der, den Jospehine Witt im Kölner Dom geleistet hat. Wenn eine Institution, speziell eine einem Glauben verschriebene, sich veränderten Umständen bzw. gesellschaftlichen Um- und Aufbrüchen nicht stellt, verwirkt sie auch ihr Recht auf freie und ungestörte Ausübung. Entsteht eine Reaktion wie diese Ohrfeige für Josephine Witt, also das Hinzuziehen von tatsächlich ausgeübter Gewalt, durch eine als Beleidigung und Provokation und nicht als Widerstand wahrgenommene Geste bzw. Aktion, so ähnlich, wie das nicht nur bei bildungs- und reichtumsfernen Schichten beliebte Eskalieren der „Ich-ficke-Deine-Mutter-Kultur“, dann ist das weder Erklärung noch Rechtfertigung. Wer das anders sieht, kann auch noch nicht verstehen, warum Frauen bzw. Feministinnen scharf und bestimmt anprangern, verurteilen und bekämpfen und wird sich weiter angegriffen fühlen, wenn junge Feministinnen gut aussehen, sexuell offen und erfüllt sind, erfolgreich berufliche Existenz mit der eigenen Meinungsbildung verknüpfen und mit diskursiver Reichweite ihre Interessen und Ziele kommunizieren und sich weiter zusammenschließen. Wenn sie dann noch die Insignien christlich-kapitalistischer Moralkuktur, wie die Ehe und Familienstrukturen, okkupieren und neue Deutungshoheiten erzeugen bzw. beschließen, wird die selbstauferlegte Opferrolle zum ohnmächtigen Moment des Zusammenschlusses und erst dann wird der Begriff 'Schmerzensmann' ein malediktologischer.

Abschließend kann ich nicht ausschließen, zuweilen auch einem Mechanismus zu verfallen, der mich, zumindest temporär, zu einem "Schmerzensmann" werden lässt. Doch nur die eigene Fehlbarkeit motiviert zur Reflexion oder zu diesem Text.