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Sonntag, 25. August 2013

Kein Bedarf für eine Exit-Strategie. Zur Wiederauflage von "Notausgang"


Im September erscheint im Unsichtbar Verlag eine Neuauflage von Stefan Kalbers fantastischem Debutroman "Notausgang". Ein Buch das alles hat, was "Soloalbum" nie hatte. Man hatte mich um ein paar begleitende Zeilen gebeten, ein Nachwort ist es geworden, kein Nachruf. 


"Als Stefan Kalbers mich bat, einen kleinen Text zu schreiben, welcher der Neuausgabe seiner vor langer Zeit im Lautsprecherverlag erschienen Erzählung »Notausgang« nun vorangestellt oder nachgesetzt werden könnte, überkam mich ein sonderbares Gefühl von Wehmut und nostalgischer Verklärung. Abgesehen davon war ich berührt von der Geste und sofort gewillt, dem Wunsch zu entsprechen und ein paar Zeilen zu schreiben, die Wesen, Werk und Wille des großartigen Autors Stefan Kalbers beschreiben und darüber hinaus die wichtige Wiederveröffentlichung von »Notausgang« in etwas einbetten, das man vielleicht als Kontext bezeichnen könnte.

»Notausgang« ist ein Zeugnis der Neunziger Jahre. So wie der Lautsprecherverlag an sich. Ein Kind der gelangweilten oberen Mittelschicht mit dem unbändigen Drang, die Welt zu retten. Oder einfach nur cool zu sein. Oder es anders zu machen als unsere Eltern. Von ‚›besser machen‹ konnte keine Rede sein. Wir wollten indie sein wie Dischord Records und kult wie City Lights, rau und männlich wie Bukowski oder Rollins, lyrisch verworren wie Brinkmann, melancholisch wie Hesse, brutal wie Bret Easton Ellis, besser als Techno und größer als Nirvana. Die Neunziger hatten ihre Helden gefressen, noch ehe die Mitte des Jahrzehnts angebrochen war. Und dann kamen wir.

Philipp Schiemann (bei der Gelegenheit muss kurz erwähnt werden, dass Schiemann aus dem direkten Umfeld den vielleicht größten Einfluss auf Stefan, vielleicht auf uns alle, hatte) sagte mal: »Die 80er wollten kalt sein. Die 90er waren es.« In »Notausgang« ist sie spürbar, diese Kälte. Und Kalbers Protagonisten sind eigentlich dann auch nur auf der Suche nach Wärme. Ein schweres Unterfangen.

Letztendlich stellt man fest, dass man Wärme nicht finden, sondern nur selbst erzeugen kann. Am besten mit Reibung. Und wenn man zuviel reibt, dann fängt es an zu brennen und dann hat man etwas konkretes. Denn der schlimmste Schmerz ist jener, den man nicht zu benennen, nicht zu orten in er Lage ist. Vielleicht ein Wesensmerkmal unserer Generation. Also halten wir gegen. Mit aller Kraft. Schaffen unsere eigenen Werte und versuchen uns ständig neu zu erfinden. Doch etwas von dem, was damals war, bleibt uns bis heute erhalten. Die Erinnerung. Der unbändige Drang zu schreiben. Die Freundschaft. Die Loyalität gegenüber einer Sache, die mittlerweile zuweilen mythisch verklärt wird.

Wie weit diese Loyalität ging, merkte ich, als Stefan mich vor nunmehr zwei Jahren nach einem Modus fragte, der es ihm ermöglichen könne, »Notausgang« nochmal bei einem anderen Verlag zu veröffentlichen und ob das für mich in Ordnung gehen würde. Da ich zu diesem Zeitpunkt die Rechte an Jan Offs Debutroman »Ausschuss« bereits für viel Geld an den leidigen Ventil Verlag verhökert hatte, schien es mir nun nur recht und billig, das Ganze unkompliziert abzuwickeln. Denn »Notausgang« ist nun mal ein Buch, das gelesen werden muss. Und dazu haben bzw. hatten sie ja nun die Gelegenheit und ich hoffe, Ihnen ging es ähnlich wie mir, als ich Stefans Manuskript zum ersten mal in den Händen hielt und lesen durfte.

Ich hätte in diesem Text sicherlich schreiben könne, was für eine Zeit das war, damals, als der Lautsprecherverlag sich anschickte, die Subkultur unseres Landes, ach scheiß drauf: die Kultur unseres Landes etwas bunter zu gestalten. Und natürlich auch die Literatur. Und die Popkultur. Und die Stadt Stuttgart. Und ein paar Leben. Als wir alle die ersten Lesungen und Lesetouren absolvierten, wild und rau, oftmals wie eine Band, nur ohne Instrumente, aber eben so laut. Als keiner wirklich Ahnung hatte was das ist, die Literatur, der Literaturbetrieb, ein Barsortiment, ein Buchhandelsvertreter. Ich hätte in diesem Text schreiben können, wie cool wir waren, anders, wie wenig altbacken im Vergleich zu dem, was sich zeitgleich in der Literatur ›pop‹, ›alternativ‹ und ›underground‹ schimpfte, doch das würde dem nicht gerecht werden. Denn auch wenn wir es vielleicht waren, wir wollten es nie sein. Man ist es oder ist eben nicht.

Und ich? Ich lebe heute in Berlin, bin verheiratet mit einer wunderschönen feministischen Autorin, bin Mitbesitzer einer Szene-Bar und Mitherausgeber eines kleinen Magazins. Im Sommer veröffentliche ich zum ersten mal Kurzprosa beim altehrwürdigen Suhrkamp Verlag und diesen Text schiebe ich ein, während ich am indischen Ozean sitzend an meinem Epos »Wie ich mit der goldenen Riskha von Don Yoga die Liebe zurück nach Goa brachte« schreibe. Ich bin all das was ich sein wollte. So ungefähr. Es ist noch lange kein Bedarf für eine Exit-Strategie in Sicht. Nicht so lange Verlage publizieren, was wir schreiben (und schrieben). Danke für alles, lieber Stefan. Auf dass dieses Buch noch einmal ein paar Leser findet, die es verdient.

Dein Johannes, Palolem, Goa, Januar 2013"


Freitag, 31. Mai 2013

Bring Back Leichtigkeit (und Theatertexte), ich habe einen klassichen Chor im Ohr, rhythmisch, klagend, die Augen geradeaus und starr ins Publikum gerichtet.



Lieber Stefan,



weil ich dort geboren wurde wo ich bin, aber
          das nicht wichtig ist
weil ich fernsehe und nichts passiert,
weil ich nichts mehr spüre,
weil ich
          ein weißes Blatt Papier

Fabian schrieb mir mal eine Mail aus Kolumbien,
          wunderschönes Land
vor dem Internet-Café lag der Kopf einer Frau
und ich spürte noch etwas, als ich aufwachte
weil jemand geschrien hatte und alles
war dunkel und niemand war da
          nur ich und dieser
          verhallte Schrei

Weil ich dort schlafe
wo ich eben schlafe und das
im Zusammenhang zur Welt steht
        und die Welt so ist
                 wie sie eben ist
und wir das wissen, als Kinder schon

Weil alles so laut ist und ich
so leise und die Summe allem immer lauter
und meine Stimme immer leiser bleibt
          krächzend, hustend
          überall Staub


Philipp war in Ghana, 
er hat darüber ein Buch geschriebeni
und mich zum Weinen gebracht;
ich habe es zugelassen
weil mir noch mehr und wieder
bewusst wurde, was weinen
eigentlich bedeutet;
          es bedeutet nämlich weinen
          und nicht mehr

und doch
          noch viel mehr ist da
und ich sehe es jeden Tag und ja,
ich wende meinen Blick nicht ab
im Gegenteil

Ich fixiere die Sterne, weil es Licht ist
und weil Licht sichtbar macht
und glänzen lassen kann
         mache ich das

Und alles bleibt
         nur anders


Mit sechzehn habe ich ein Tal entdeckt,
Wakamarina heißt der Fluß
und Canvastown der Ort
          er ist noch immer voller Gold
aber jetzt weiß ich
von dem was wirklich ist:

Barryii ist gestorben und Peter Capell
hatte einen Hirntumor, starb zwei Tage
nachdem sein Kind auf die Welt kam;
Barrys Frau hat nicht nur ihren Mann, auch
zwei ihrer Kinder und zwei der Enkel verloren
und Klaus, der deutsche Emigrant,
hat sich umgebracht, Vanessa vermutet
er hat Frau und Kinder geschlagen
          sie waren eines Tages einfach weg

Alle haben das Tal verlassen,
die Gemeinde existiert nicht mehr
und das alles passierte in der kurzen Zeit
und macht mich sprachlos, weil die Lücke
nicht zu schließen
          und das Böse nicht zu finden ist;

Also, ich spüre meinen Schmerz und
versuche ihn zu vergleichen,
meine Ohnmacht, das Unvermögen
und die Schuld und rechne gegen
Verantwortung und Liebe
und komme dahin
          wo wir jetzt sind



iPhilipp Schiemann, Die Ghana-Briefe – Aufzeichnungen aus einem westafrikanischen Land, edition selene, Wien, 2004


iiBarry Smith, 1933 – 2002, war new born again christian ein freikirchlicher Pastor aus Neuseeland mit einer eigenen, kleinen Gemeinde in Pelorous Bridge und einer großen Gemeinde weltweit. Er glaubte und propagierte die baldige Wiederkehr von Jesus Christus und war fest davon überzeugt, dass sich das Böse auch menschliche Machenschaften zu Nutze macht und wurde zum Kenner okkulten Treibens, von Illuminaten, über Scientology bis hin zu weitläufig gängigen Verschwörungstheorien, bei denen bei Barry immer Satan im Hintergrund ordentlich mitwirbelte. Seine Lieblingsstelle im neuen Testament war Johannes 3:30. Ich vermisse manchmal die Ruhe, die über den Marlborough Sounds und dem Wakamarina Valley lag.