Freitag, 31. Mai 2013

Bring Back Leichtigkeit (und Theatertexte), ich habe einen klassichen Chor im Ohr, rhythmisch, klagend, die Augen geradeaus und starr ins Publikum gerichtet.



Lieber Stefan,



weil ich dort geboren wurde wo ich bin, aber
          das nicht wichtig ist
weil ich fernsehe und nichts passiert,
weil ich nichts mehr spüre,
weil ich
          ein weißes Blatt Papier

Fabian schrieb mir mal eine Mail aus Kolumbien,
          wunderschönes Land
vor dem Internet-Café lag der Kopf einer Frau
und ich spürte noch etwas, als ich aufwachte
weil jemand geschrien hatte und alles
war dunkel und niemand war da
          nur ich und dieser
          verhallte Schrei

Weil ich dort schlafe
wo ich eben schlafe und das
im Zusammenhang zur Welt steht
        und die Welt so ist
                 wie sie eben ist
und wir das wissen, als Kinder schon

Weil alles so laut ist und ich
so leise und die Summe allem immer lauter
und meine Stimme immer leiser bleibt
          krächzend, hustend
          überall Staub


Philipp war in Ghana, 
er hat darüber ein Buch geschriebeni
und mich zum Weinen gebracht;
ich habe es zugelassen
weil mir noch mehr und wieder
bewusst wurde, was weinen
eigentlich bedeutet;
          es bedeutet nämlich weinen
          und nicht mehr

und doch
          noch viel mehr ist da
und ich sehe es jeden Tag und ja,
ich wende meinen Blick nicht ab
im Gegenteil

Ich fixiere die Sterne, weil es Licht ist
und weil Licht sichtbar macht
und glänzen lassen kann
         mache ich das

Und alles bleibt
         nur anders


Mit sechzehn habe ich ein Tal entdeckt,
Wakamarina heißt der Fluß
und Canvastown der Ort
          er ist noch immer voller Gold
aber jetzt weiß ich
von dem was wirklich ist:

Barryii ist gestorben und Peter Capell
hatte einen Hirntumor, starb zwei Tage
nachdem sein Kind auf die Welt kam;
Barrys Frau hat nicht nur ihren Mann, auch
zwei ihrer Kinder und zwei der Enkel verloren
und Klaus, der deutsche Emigrant,
hat sich umgebracht, Vanessa vermutet
er hat Frau und Kinder geschlagen
          sie waren eines Tages einfach weg

Alle haben das Tal verlassen,
die Gemeinde existiert nicht mehr
und das alles passierte in der kurzen Zeit
und macht mich sprachlos, weil die Lücke
nicht zu schließen
          und das Böse nicht zu finden ist;

Also, ich spüre meinen Schmerz und
versuche ihn zu vergleichen,
meine Ohnmacht, das Unvermögen
und die Schuld und rechne gegen
Verantwortung und Liebe
und komme dahin
          wo wir jetzt sind



iPhilipp Schiemann, Die Ghana-Briefe – Aufzeichnungen aus einem westafrikanischen Land, edition selene, Wien, 2004


iiBarry Smith, 1933 – 2002, war new born again christian ein freikirchlicher Pastor aus Neuseeland mit einer eigenen, kleinen Gemeinde in Pelorous Bridge und einer großen Gemeinde weltweit. Er glaubte und propagierte die baldige Wiederkehr von Jesus Christus und war fest davon überzeugt, dass sich das Böse auch menschliche Machenschaften zu Nutze macht und wurde zum Kenner okkulten Treibens, von Illuminaten, über Scientology bis hin zu weitläufig gängigen Verschwörungstheorien, bei denen bei Barry immer Satan im Hintergrund ordentlich mitwirbelte. Seine Lieblingsstelle im neuen Testament war Johannes 3:30. Ich vermisse manchmal die Ruhe, die über den Marlborough Sounds und dem Wakamarina Valley lag.