Im September erscheint im Unsichtbar Verlag eine Neuauflage von Stefan Kalbers fantastischem Debutroman "Notausgang". Ein Buch das alles hat, was "Soloalbum" nie hatte. Man hatte mich um ein paar begleitende Zeilen gebeten, ein Nachwort ist es geworden, kein Nachruf.
"Als Stefan Kalbers mich bat, einen
kleinen Text zu schreiben, welcher der Neuausgabe seiner vor
langer Zeit im Lautsprecherverlag erschienen Erzählung
»Notausgang« nun vorangestellt oder nachgesetzt
werden könnte, überkam mich ein sonderbares Gefühl von Wehmut
und nostalgischer Verklärung. Abgesehen davon war ich
berührt von der Geste und sofort gewillt, dem
Wunsch zu entsprechen und ein paar Zeilen zu schreiben, die
Wesen, Werk und Wille des großartigen Autors Stefan
Kalbers beschreiben und darüber hinaus die wichtige
Wiederveröffentlichung von »Notausgang« in etwas einbetten,
das man vielleicht als Kontext bezeichnen könnte.
»Notausgang« ist ein Zeugnis der
Neunziger Jahre. So wie der Lautsprecherverlag an sich. Ein
Kind der gelangweilten oberen Mittelschicht mit dem unbändigen
Drang, die Welt zu retten. Oder einfach nur cool zu
sein. Oder es anders zu machen als unsere Eltern. Von
‚›besser machen‹ konnte keine Rede sein. Wir wollten indie sein
wie Dischord Records und kult wie City Lights, rau und männlich wie Bukowski oder Rollins, lyrisch
verworren wie Brinkmann, melancholisch wie Hesse, brutal wie
Bret Easton Ellis, besser als Techno und größer als
Nirvana. Die Neunziger hatten ihre Helden gefressen, noch ehe
die Mitte des Jahrzehnts angebrochen war. Und dann kamen wir.
Philipp Schiemann (bei der Gelegenheit
muss kurz erwähnt werden, dass Schiemann aus dem direkten
Umfeld den vielleicht größten Einfluss auf
Stefan, vielleicht auf uns alle, hatte) sagte mal: »Die 80er
wollten kalt sein. Die 90er waren es.« In »Notausgang« ist
sie spürbar, diese Kälte. Und Kalbers Protagonisten sind
eigentlich dann auch nur auf der Suche nach Wärme. Ein
schweres Unterfangen.
Letztendlich stellt man fest, dass man
Wärme nicht finden, sondern nur selbst erzeugen kann. Am
besten mit Reibung. Und wenn man zuviel reibt, dann fängt
es an zu brennen und dann hat man etwas konkretes. Denn
der schlimmste Schmerz ist jener, den man nicht zu
benennen, nicht zu orten in er Lage ist. Vielleicht ein
Wesensmerkmal unserer Generation. Also halten wir gegen. Mit
aller Kraft. Schaffen unsere eigenen Werte und versuchen uns
ständig neu zu erfinden. Doch etwas von dem, was
damals war, bleibt uns bis heute erhalten. Die Erinnerung. Der
unbändige Drang zu schreiben. Die Freundschaft. Die
Loyalität gegenüber einer Sache, die mittlerweile zuweilen
mythisch verklärt wird.
Wie weit diese Loyalität ging, merkte
ich, als Stefan mich vor nunmehr zwei Jahren nach einem
Modus fragte, der es ihm ermöglichen könne,
»Notausgang« nochmal bei einem anderen Verlag zu veröffentlichen
und ob das für mich in Ordnung gehen würde. Da ich zu
diesem Zeitpunkt die Rechte an Jan Offs Debutroman
»Ausschuss« bereits für viel Geld an den leidigen Ventil
Verlag verhökert hatte, schien es mir nun nur recht und
billig, das Ganze unkompliziert abzuwickeln. Denn »Notausgang« ist
nun mal ein Buch, das gelesen werden muss. Und
dazu haben bzw. hatten sie ja nun die Gelegenheit und
ich hoffe, Ihnen ging es ähnlich wie mir, als ich Stefans
Manuskript zum ersten mal in den Händen hielt und lesen
durfte.
Ich hätte in diesem Text sicherlich
schreiben könne, was für eine Zeit das war, damals, als der
Lautsprecherverlag sich anschickte, die Subkultur unseres
Landes, ach scheiß drauf: die Kultur unseres Landes etwas
bunter zu gestalten. Und natürlich auch die Literatur. Und
die Popkultur. Und die Stadt Stuttgart. Und ein paar
Leben. Als wir alle die ersten Lesungen und Lesetouren
absolvierten, wild und rau, oftmals wie eine Band, nur ohne
Instrumente, aber eben so laut. Als keiner wirklich
Ahnung hatte was das ist, die Literatur, der
Literaturbetrieb, ein Barsortiment, ein Buchhandelsvertreter. Ich hätte in
diesem Text schreiben können, wie cool wir waren, anders,
wie wenig altbacken im Vergleich zu dem, was sich
zeitgleich in der Literatur ›pop‹, ›alternativ‹ und
›underground‹ schimpfte, doch das würde dem nicht gerecht werden. Denn
auch wenn wir es vielleicht waren, wir wollten es nie
sein. Man ist es oder ist eben nicht.
Und ich? Ich lebe heute in Berlin, bin
verheiratet mit einer wunderschönen feministischen Autorin,
bin Mitbesitzer einer Szene-Bar und Mitherausgeber eines
kleinen Magazins. Im Sommer veröffentliche ich zum
ersten mal Kurzprosa beim altehrwürdigen Suhrkamp Verlag
und diesen Text schiebe ich ein, während ich am
indischen Ozean sitzend an meinem Epos »Wie ich mit der
goldenen Riskha von Don Yoga die Liebe zurück nach Goa
brachte« schreibe. Ich bin all das was ich sein wollte. So ungefähr. Es ist noch lange kein Bedarf für eine
Exit-Strategie in Sicht. Nicht so lange Verlage publizieren, was wir
schreiben (und schrieben). Danke für alles, lieber Stefan. Auf
dass dieses Buch noch einmal ein paar Leser findet, die es
verdient.
Dein Johannes, Palolem, Goa, Januar 2013"