Mittwoch, 12. März 2014

Dialogfeuer (Betaversion, Textvorlage), eine Textvorlage in 3 Akten für vier Schauspieler oder Freunde mit minimalen Umsetzungsanweisungen




Protagonisten: A, B, C, D
Ort: Eine Bühne in Berlin 
Begebenheit: Treffen unter vielleicht guten Freunden
Zeit: 2014

Anleitungen: Alle vier Protagonisten sind geschlechtsunabhängig, bildungsnah, gutaussehend (vermeintlich), gesund (vordergründig), kreativ und in einer werberelevanten Alterszielgruppe (flexibel). Die Bühnenbauten sind klimaneutral und nachhaltig. Der Holzpanzer z.B. geht als Kletterburg an einen Kindergarten. Drei Protagonisten haben aktuelle mobile Endgeräte (bestenfalls die eigenen) und können damit machen was sie wollen. Auch twittern. Der Hashtag lautet #DialogfeuerIm ersten Teil tragen sie aktuelle Fashion Statements, dem jeweiligen Typ entsprechend, zum zweiten Teil ziehen sich die Protagonisten aus und tragen unten drunter goldene Glitzerleggings, zum dritten Teil malen sie sich selbst ausgedachte und unpolitische Slogans auf den nackten Oberkörper und tragen Kopfbedeckungen (Blumenkranz, Basecap, Hipster-Hut und Wollmütze). Das Licht ist im ersten Teil statisch grell. Im zweiten Teil wie auf einer Engtanzparty. Im dritten spärlich. Alle drei Teile werden durch Einspieler eingeleitet und verbunden. Zum Auftakt läuft (alles Titel vom Band) der Titelsong der deutschen Ausgabe der Sesamstraße, in einer Version aus den achtziger Jahren und die vier Protagonisten blasen Luftballons auf, die sie ins Publikum werfen. Zwischen Teil 1 und Teil 2 läuft „Kind“ von Nils Frahm und die Protagonisten tanzen eng umschlungen, wechseln dabei immer wieder den Partner und werden anzüglich und horny. Zwischen Teil 2 und Teil 3 wird "You And I In Unison" von La Dispute eingespielt und die vier Protagonisten bauen einen Panzer aus Holz zusammen, alternativ dazu kann jeder Protagonist auch eine zerlegte AK-47 zusammenbauen. Zum Ende von Teil 3 verteilen die vier Protagonisten Textblätter zu „Come As You Are“ von Nirvana und singen alle zusammen im Chor eine schleppende Lagerfeuerversion. Alkohol- und Drogenkonsum sind vor und auf der Bühne zu jedem Zeitpunkt unbedingt zugelassen und erwünscht. Aufnahmen und deren nicht kommerzielle Nutzung und Verbreitung ebenfalls. Die Wörter „Scheiße“ und „Ficken“ dürfen, können und sollen von den Protagonisten frei verwendet werden. Auf den Textblättern sollte auf der Rückseite ein Gewinnspiel angeboten werden.

Anmerkung: Dies ist ein Generationenstück für jene, die in diesen Tagen dreißig werden. Dies ist kein Generationenstück für jene, die sich immer noch wie dreißig fühlen. Und für meine Frau und die nächsten zehn Jahre.


Teil 1: Die Richtung, das Recht und der Raum

A
Hallo!

B
Hi!

C
Na!

D
Ich habe mein mobiles Endgerät verloren.

A
Das ist scheiße.

B
Das ist immer scheiße.

C
Ficken.

A
Vielleicht hat es dir jemand geklaut.

D
Noch vor einer Minute war ich mir sicher, ich habe es in meiner Hosentasche. Aber da ist es nicht. So eine Scheiße. Ich warte auf eine wichtige Nachricht.

B
Warten wir nicht immer alle irgendwie auf wichtige Nachrichten?

C
Sind wir uns nicht viel zu oft viel zu sicher?

D
In diesem Fall ist es wirklich wichtig.

B
Es ist immer wichtig.

A
Und mit jedem Mal wird es noch wichtiger.

B
Ich kann mich gar nicht entsinnen, wann ich das letzte Mal etwas getan habe, das nicht wichtig war.

A
Und zwar so richtig wichtig.

B
Ja. Genau. Alles was ich mache ist richtig wichtig.

A
Alles was du machst ist so richtig wichtig für dich oder richtig wichtig in einer Ordnung, deren Funktionalität darin besteht, dir zuzugestehen, ausschließlich Dinge machen zu können, die so richtig wichtig sind. Ausnahmslos. Nur wichtige Dinge.

C
Das ist doch toll. Wir machen alle ausnahmslos nur so richtig wichtige Dinge, die so wichtig sind, weil das Feedback darauf, dass auf unseren mobilen Endgeräten ankommt, weil das Feedback uns das sagt.

A
Dein mobiles Endgerät sagt dir, dass du wichtig bist.

C
Dein mobiles Endgerät sagt dir, ob du wichtig bist.

B
Mein mobiles Endgerät sorgt für Lebensqualität und für ein reibungsloses Miteinander.

C
Für den verfickten Weltfrieden.

B
Und das Feedback auf das, was ich da erwerbe und mache und darauf wer ich bin, dieses Feedback, dass auf meinem mobilen Endgerät ankommt und direkt die primären Assoziationsfelder meiner Cortex stimuliert, also dieses Feedback sagt mir, dass alles was ich mache so richtig wichtig ist.

C
Wir dürfen die Liebe nicht vergessen.

B
Liebe funktioniert nicht ohne Feedback.

C
Irgendetwas muss die primären Assoziationsfelder deiner Cortez stimulieren. Sonst passiert da gar nichts.

C
Also geht es um das Feedback.

A
Es geht immer um das Feedback.

D
Feedback, dass mir das Gefühl gibt, dass alles was ich mache so richtig wichtig ist, ist mir scheißegal. Wichtig wäre mein mobiles Endgerät zu finden. Ich warte auf eine wirklich wichtige Nachricht. Ich habe extra ein Aufladekabel eingesteckt, man weiß ja nie. Plötzlich ist der Saft weg. Kennt ihr das auch, dass die Batterieanzeige manchmal einfach einen Scheiß anzeigt. Plötzlich ist der Saft weg. Scheiße. Dann ist nichts mehr mit Feedback. Dann ist nichts mehr mit Liebe. Eben war der Balken noch zur Hälfte grün und plötzlich wird er gelb und dann rot und dann geht das Scheißding einfach aus.

A
Auf was wartest du Du?

D
Darauf, dass sie mir schreibt.

A
Du wartest immer darauf, dass sie dir schreibt.

D
Es gibt mir ein gutes Gefühl.

B
Was gibt dir ein gutes Gefühl?

D
Das Gefühl geliebt zu werden. Das Gefühl für jemanden wichtig zu sein.

C
Dein mobiles Endgerät sagt dir, ob du für jemanden wichtig bist. Ob du etwas machst, dass wichtig ist ist.

A
So richtig wichtig.

B
Alles was wir machen ist wichtig.

B
Ich war gestern im Theater.

A
Und?

B
Als das Stück vorbei war, hatte ich das Gefühl, die meisten Menschen verlassen glücklich das Theater. Da war das Feedback in den Gesichtern der Menschen.

A
Was für ein Stück war das?

B
Ein Stück von Rene Pollesch.

C
Ich kenne Rene Pollesch nicht.

B
Rene Pollesch macht Theater.

D
Aber ist das auch wichtig?

B
Es macht die Menschen glücklich.

A
Dann lass uns doch mal über René Pollesch reden.

C
Ich kenne Rene Pollesch nicht. Ist der auch auf Twitter? 

B
René Pollesch hat mich auf Twitter geblockt.

D
Sie hat mich auch auf Twitter geblockt.

A
Es geht hier nicht um sie. Wir reden jetzt nicht über sie.

C
Warum blockt dich dieser René Pollesch auf Twitter?

D
Wer ist das eigentlich dieser René Pollesch. Ich kenne keinen René Pollesch.

C
Pollesch klingt wie ein Sportwagen.

A
Warum hat dich Rene Pollesch auf Twitter geblockt?

D
Sie hat mich auch auf Twitter geblockt.

A
Es geht hier jetzt nicht schon wieder um sie.

D
Wir waren mit dem Auto im Baumarkt. Wir wollten uns ein Leben aufbauen.

C
Wenn man sich ein Leben aufbauen möchte, kommt man um den Baumarkt nicht drumherum.

D
Auf dem Rückweg blickte ich sie an. Wie sie neben mir sitzt. Wie schön sie aussieht. Scheiße, sie ist wunderschön. Und dann sagt sie zu mir "Schau auf die Straße!" und ich antworte "Die Straße ist aber nicht so schön wie du" und sie lacht und twittert das.

A
Hach ist das süß.

D
Und dann streiten wir uns und sie blockt mich.

C
Ficken.

A
Jetzt geht es aber nicht um sie. Es geht um Rene Pollesch.

D
Es geht immer um sie.

A
Jetzt geht es aber um Rene Pollesch.

C
Warum hat dich Rene Pollesch auf Twitter geblockt?

B
Ich weiß auch nicht warum mich René Pollesch auf Twitter geblockt hat. Warum wird überhaupt irgendjemand auf Twitter geblockt. Das widerspricht doch dem Konzept von Liebe. Jemand, der andere auf Twitter blockt, ist doch jemand, der mit Liebe wahrscheinlich nicht viel anfangen kann,

D
Jemanden auf Twitter blocken widerspricht dem Konzept von Liebe.

A
Aber es gibt doch unterschiedliche Konzepte. Sie scheint ein anderes zu haben.

B
Also ist die Liebe egal, wenn die Konzepte davon nicht zusammenpassen?

D
Ich will mich nicht mit Konzepten von Liebe auseinandersetzen.Ich will lieben.

A
Du kannst jemanden nicht lieben, der dich auf Twitter blockt.

C
Warum willst sollen wir über jemanden reden, der jemanden auf Twitter blockt? Ich mein, wir können doch über Menschen reden, die andere Menschen nicht blocken, weil sie an das Konzept von Liebe glauben.

B
Vielleicht gibt es für René Pollesch das Konzept Liebe nicht und deswegen kann er Menschen glücklich machen, weil er ihnen nichts verspricht. Weil er ihnen sagt, dass die Liebe nicht in den mobilen Endgeräten der Menschen steckt, sondern in ihnen.

C
Ich kenne Rene Pollesch nicht. Pollesch klingt wie ein Sportwagen.

A
Warum soll ich über jemanden reden, den ich nicht einmal kenne. Ich rede doch schon so den ganzen Tag von und mit Menschen, die ich nicht kenne. Und mit diesen Menschen, die ich nicht kenne, meine ich nicht nur mich.

D
Warum sollen wir über jemanden reden, der das Konzept von Liebe nicht verstanden hat?

A
Hast du das Konzept von Liebe verstanden?

C
Wir müssen uns die ganze Zeit mit Menschen beschäftigen, die wir nicht einmal kennen und die das Konzept von Liebe nicht verstehen. Den ganzen Tag geht das so. Den ganzen lieben Tag nur Unbekannte. Und irgendwann haben wir angefangen das Unbekannte zu lieben. Die Unbekannten Menschen. Die Menschen, die das Konzept von Liebe nicht verstehen und deswegen andere bei Twitter blocken. Diese ganzen Unbekannten, die ich nicht kenne, und das schließt mich mit ein. Das unbekannte ich. Den Fremden in mir. Das Geheimnisvolle. Die Kehrseite. Nicht die Menschen, die andere bei Twitter blocken, sondern die Menschen, die von anderen bei Twitter geblockt werden.

Also ich liebe dich, weil du so geheimnisvoll bist. So fremd. Ich kenne dich nicht und trotzdem habe ich angefangen dich zu lieben. Gerade weil ich dich nicht kenne, kann ich dich lieben. Wenn sich das ändern würde, dann wäre die ganze Liebe mit einem Schlag vorbei.

Du hast angefangen zu lieben, weil du das Unbekannte liebst. Das Fremde. Das Geheimnisvolle. Du liebst das geheimnisvolle, weil es dir das Gefühl gibt, selbst geheimnisvoll zu sein. Du schreibst dieses Art Tagebuch, das jeder lesen kann, weil jeder alles lesen, was fremde Menschen so im Netz als eine Art Tagebuch schreiben und es gibt dir das Gefühl, selbst fremd zu sein, selbst geheimnisvoll zu sein, selbst etwas ganz besonderes.

B
Also Twitter ist so eine Art Tagebuch, mit dem Menschen zeigen, dass sie das Konzept von Liebe nicht verstanden haben oder einfach nur nicht so leben wollen und andere Menschen blocken?

C
Das ist ja geheimnisvoll.

B
Aber du willst geheimnisvoll sein und deswegen schreibst du dieses Art Tagebuch oder schreibst Twitter oder schreibst Facebook und schreibst, so dass jeder lesen kann, was dich bewegt, warum du andere Menschen blockst und warum du die Liebe nicht verstehst.

A
Aber warum muss ich mich so viel mit fremden Menschen beschäftigen, wenn ich mir selbst fremd bin. Also ich meine doch nur, dass ich das Geheimnisvolle in mir selbst suchen kann. Wenn mir die Menschen fremd sind, die ich nicht kenne, aber mit denen ich mich jeden Tag beschäftige und wenn ich mir fremd bin und wenn ich durch die Straßen laufe und denke, dass ich hier nicht hier hin gehöre, weil ich doch eigentlich was besonderes bin, dann brauch ich doch die Menschen nicht, nur damit sie mir Applaus spenden. Ich brauche keinen Applaus. Ich bin was besonderes.

D
Aber man möchte doch so gerne mal jemanden wirklich kennenlernen, einen richtigen Menschen. Ein Mensch, von dem man sagen kann, dass man ihn kennt.

A
Und dass er trotzdem fremd bleibt. Und geheimnisvoll. Und wenn das Konzept von Liebe nicht wichtig ist, sondern nur die Liebe an sich. Die reine Liebe.

B
Wäre das nicht schön, jemanden fremdes kennenzulernen ohne dass dabei das geheimnisvolle verloren geht. Also ohne, dass man hinterher feststellen muss, dass dieser Mensch doch nichts besonderes ist.

D
Aber jeder Mensch ist doch was besonderes und verdient Applaus.

C
Aber wenn wir alle was besonderes sind und wenn wir alle Applaus verdienen weil wir etwas besonderes sind, und wenn wir doch sowieso alle was besonderes sind, dann sind wir doch auch alle gleich. Sind wir nicht alle gleich, wenn alles was wir machen so richtig wichtig ist und unsere mobilen Endgeräte uns das sagen? Sind wir dann nicht alle gleich viel wert? Sind wir dann nicht alle auf Augenhöhe und können auf dieser Augenhöhe über die Zukunft verhandeln? Wenn wir alle was besonderes sind, warum müssen wir uns dann fremd sein. Warum können wir uns dann nicht endlich mal kennen lernen.

A
Hallo

B
Hi

C
Na!

D
Wir können uns nicht kennen lernen, weil wir dann nicht mehr geheimnisvoll sind. Jeder verrät immer nur das Nötigste, um den nächsten Schritt zu machen. 

B
Diese ganze vertikale Scheiße.
Diese ganze vertikale Scheiße. Der soziale Aufstieg in das Unsoziale.
Diese ganze vertikale Scheiße, dass Menschen immer daran glauben, dass sie glücklich werden, weil sie das neueste und beste mobile Endgerät besitzen, verdammt, so ein mobiles Endgerät ist doch kein Organ. So ein mobiles Endgerät ist doch kein Herz. Ein mobiles Endgerät ist doch nur etwas, dass uns hilft den Alltag besser zu organisieren. Das ist doch nicht geheimnisvoll.

C
Dann sind wir nicht mehr geheimnisvoll.

A
Und wenn wir nicht geheimnisvoll sind, dann können wir uns nicht lieben.

C
Wenn wir nicht das Gefühl hätten, etwas besonderes zu sein, wie sollten wir uns dann ernsthaft und aufrecht lieben können.