Donnerstag, 7. Oktober 2010

Oktoberfest und Gewalt

Hans Henning ruft aus München an. Er hat auf dem Oktoberfest einem dreiundzwanzigjährigen den Unterkiefer gebrochen. Seiner Aussage zufolge ein Wichser und ich glaube ihm das sofort. Wer einmal auf den Wiesn war, kennt das. Kann das nachempfinden. Mögliche Opfer und Täter gibt es ja quasi am Fließband. Wirklich wichtig ist nur die Gabe zur spontanen Hinwendung: bin ich nun Opfer oder bin ich doch besser Täter? Hans Henning hat sich im allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis wohl der Täterrolle verschrieben. Ich jedoch betrachte Hans Henning als Opfer. Opfer einer Person, die partout nicht verstehen will, wie es eigentlich läuft. Jemand, der die Regeln nicht kennt. Vielleicht sogar einer, der nie verstanden hat, dass das Ganze ein Spiel ist und unangemessenes Verhalten nun mal abgestraft wird, im gröberen Fällen zum Ausschluss führt. Was wäre gewesen, wenn Hans Henning den Jungen zufällig an der Schläfe trifft oder der Idiot mit dem Kopf auf den Boden knallt und liegen bleibt? Hans Henning wäre das Opfer. Opfer von zuviel Hass, Dummheit und Häme. Opfer von Unverständnis und banalen Ängsten und Alltagssorgen von Menschen, die eigentlich nichts mit ihm und seinem Leben zu tun haben. Es geht hier nicht um das Sprengen von Ketten oder um Aufbegehren als Ansichtssache. Es geht um das Leben. Jetzt. Heute. Hier. Ich sage zu ihm am Telefon: „Scheiß auf München! Schwing deinen Arsch zurück nach Berlin!“ Er fragt ob es losgeht. Ich sage, dass es schon lange angefangen hat und wir bereits mitten drin sind.