Mittwoch, 16. Oktober 2013

Ernsthaft Europa. In vier Jahren dann ein neuer Versuch oder Warum wir über Freiheit reden müssen.


Ich glaube weder an Parteien, deren Personal, noch an den Staat als solchen. Weder als faktisch Rahmen gebend, noch als Konstrukt, Idee oder Ideal. Vielleicht wäre das zu einer anderen Zeit anders gewesen, aber ich kann eben nur für die meine sprechen, für das Hier, das Jetzt. Und soweit ich mich entsinnen kann, ging es mir nie anders. Mich hat nie die Wertigkeit eines Staates, geschweige denn einer Nation, eines Volkes, interessiert, sondern ausschließlich dessen Verlust und Ableben, das historisch Dekonstruierte, die topographische Verortung im Wandel der Zeit und die Konsequenzen staatlichen Handelns als Grundlage kritischer Auseinandersetzung, eventuell sogar als Grundlage für zivilen Ungehorsam, für Widerstand.

Die zurückliegenden Bundestagswahlen haben dran nichts geändert. Zu offensichtlich sind mittlerweile die Zwänge aus persönlicher Karrierekonsolidierung und markt- bzw. meinungsorientierter Beliebigkeit. Aufgeklärte und gebildete Bürger würden anders wählen. Ohne Ängste, im speziellen ohne Existenzängste, fällt es leichter die Zukunft zu wählen und nicht den Status Quo zu verteidigen, denn dieser besteht leider noch immer aus dem Voranstellen eigener Interessen, in dem Fall vermeintlich nationaler, binnenwirtschaftlicher und versorgungsrelevanter. Die 'Anderen' sind nur Teil einer Exportstatistik. Eine Zahl, keine wirkliche Freundschaft. Eine ungleich gewichtete Abhängigkeit. Keine Solidarität.

Ich muss nicht vom Sinn oder Nutzen eines starken Deutschlands innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft überzeugt werden. Ebenso wenig interessiert mich ein starkes Europa. Mich interessieren einzig und allein die Möglichkeiten Vorurteile und Benachteiligungen zu bekämpfen und Grundlagen zu schaffen, die es ermöglichen, dass unterschiedliche Gruppierungen, egal ob ethnisch, wirtschaftlich oder ideologisch miteinander verbunden, miteinander kommunizieren und Dinge ver- und aushandeln, die einer künftigen Weltgesellschaft die Chance geben, sich solidarisch weiter zu entwickeln, sich individuell zu entfalten und eine neue Kultur des Miteinanders zu schaffen, die langfristig, oder sagen wir besser absehbar, in der Lage ist sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Frieden zu stiften. Europa ist eine Etappe. Wäre das nicht eine frohe Kunde im Wahlkampf gewesen? Eine gute Nachricht: Ja, es gibt die Hoffnung die Kleinteiligkeit von Interessen zu überwinden. Ja, es gibt Gemeinsamkeiten, die die Unterschiede verblassen lassen. Ja, wir steuern unausweichlich auf eine bunte, solidarische, multi-kulturelle, multi-religiöse und geschlechtergerechte Gesellschaft zu. Uns bleibt quasi keine andere Wahl und deswegen nehmen wir das an, finden uns damit ab und verspielen das nicht mit dem Bedienen oberflächlicher und populistischer Bedürfnisse. 

Wenn man sieht, wie vor und nach der Wahl gleichermaßen 'gewusst' wird, alles erklärbar gemacht und - was noch dramatischer viel ist – dem mehrheitlichen Wählerwillen nachgebetet wird, entbehrt dies jeglicher seriöser Betrachtung von Idealismus und Haltung. Ich weiß im Vorfeld auch warum der BVB gewinnt und ich kann auch hinterher ziemlich genau sagen, warum das Spiel für den BVB verloren ging. Der Mechanismus ist mir nicht fremd. Ich bin genau so Erklär- und Verteidigungsmaschine wie jene, die abkommandiert, stellvertretend oder meinungsführend eine Wahlniederlage schönreden müssen. Denn Verlieren war, ist und bleibt nicht sexy. Eine Niederlage bleibt Makel und kann zum Trauma werden, kann aber im besten Falle auch ins legendäre umschlagen und das Auferstehen zelebrieren. Aber spielt das noch eine Rolle, wenn Posten nicht mehr durch Wahlen, sondern durch parteiinterne und über öffentliche Medien ausgetragene Machtspielchen und dunkle Allianzen zwischen privater Wirtschaft, öffentlicher Hand und individueller Gier vergeben werden. Heilig scheint hier nichts mehr. Das Gefühl für bzw. der Magie, die der Politik stets zugestanden hat die Welt besser machen zu können, scheint flöten gegangen zu sein, zumindest so lange die Nationalmannschaft nicht den Titel erkämpft. Denn dann werden Legenden geboren, gebärt das Universum tanzende Sterne, die so hell scheinen, dass selbst die Schattenreiche, die Niederungen und die Angst für kurz erleuchtet werden und die politischen Vertreter der Macht sich dem kollektiven Rausch nicht entziehen können und Präsenz zeigen. Vielleicht interessiert mich das alles in vier Jahren wieder. Ach was sag ich da: Bestimmt! Denn ein Spektakel ist es allemal und als Teil der Brot & Spiele-Kultur, in die wir uns gnadenlos immer weiter rein manövrieren, auch unverzichtbarer Bestandteil der Klaviatur des Bösen, denn hier gaukelt ein System Entscheidungsfreiheit vor, obwohl es uns in Sippenhaft genommen hat. Es wird Zeit Freiheit neu zu definieren und dazu braucht es keine Wahl.  

Dieser Text findet sich auch im Blank Magazin

In Anlehnung an die 1977 erschienen "Briefe zur Verteidigung der Republik" haben Stephan Urbach und ich angefangen den Zustand der Republik zu beschreiben. Aus dieser Idee  heraus habe ich auch diesen Text verfasst, auch um mich selbst in der Republik verorten zu können.